Mittwoch, Juli 15, 2015 / Eingestellt von peter /

Ayreon
"Into the Electric Castle"

1998, Transmission Records

vocals:
Fish (Fish, ex-Marillion), Sharon den Adel (Within Temptation), Damian Wilson (Treshold), Edwin Balogh (Tamas, Omega) , Anneke van Giersbergen (The Gathering), Jay van Feggelen (Bodine), Arjen Anthony Lucassen, Edward Reekers (Kayak), Peter Daltrey (Kaleidoscope), Robert Westerholt (Within Temptation), George Oosthoek Orphanage)

Robert Valentine - piano, synth, mellotron
Clive Nolan (Arena, Pendragon) - synth
Rene Merkelbach (ex-Gorefest) - synth, harpsichord
Ton Scherpenzeel (Camel, Kayak) - synth
Roland Bakker (Vengeance) - hammond organ
Thijs van Leer (Focus) - flute
Ernö Olah (Metropole Orchestra) - violin
Taco Kooistra (Aska Ensemble) - cello
Jack Pisters (Soylent Green) - sitar
Arjen Lucassen - electric/acoustic guitars, mandoline, bass, minimoog, mellotron, keyboards
Ed Warby (Gorefest, Elegy) - drums

CD1:
Welcome to the new dimension (3:05)
Isis and Osiris (11:11)
 
Amazing flight (10:15)
Time beyond time (6:05)
The decision tree (6:24)
Tunnel of light (4:05)
Across the rainbow bridge (6:20)
CD2:
The garden of emotions (9:40)
Valley of the queens (2:25)
The castle hall (5:49)
Tower of hope (4:54)
Cosmic Fusion (7:27)
The Mirror Maze (6:34)
Evil Devolution (6:31)
The two gates (6:28)
Forever of the stars (2:02)
Another time, another space (5:20)
Gesamtspielzeit / total time: 107:41


Isis und Osiris: Leicht folkig angehauchte Akustikguitar im Stile der ersten Fish-Solo-Veröffentlichungen lassen Highlander, Indianerin, Ritter und Römer sich in der neuen Dimension wiederfinden. Schon hier wird klar, daß der Aufenthalt nur durch die Auseinandersetzung mit dem jeweils eigenen Ich in der Erlösung der eigenen Seele enden kann. Die Seelen zweifeln zunächst an der Umgebung, in der sie sich nun selbst wiederfinden, erkennen darin kurzzeitig die Erlösung nach dem Tod (Ritter: the gates of avalon, Ägypterin: the great hall of Isis and Osiris) bevor der Römer ("you're wrong, we're trapped in darkness among departed souls and mislaid spirits") die Situation treffend und desillusionierend beschreibt. Ein packender Track mit ruhigem bis fetzigem Progrock, der alle auftauchenden Stimmungen (Ungewißheit, Erlösungsgedanken sowie Ausweglosigkeit) treffend umsetzt.

Bluesrockig präsentiert trifft dann auch der Barbar ein und schickt sich an, blind gegen das Unbekannte, in dem er sich wähnt, loszumetzeln. Mit ewig breitem Grinsen und den Sternen vor seinen (sicherlich erweiterten) Augen besänftigt der Hippie den heroischen Barbaren ("hey dude you're so uncool ... we're on an amazing flight in space"). Der Hippie erscheint übrigens in bester John Lennon Manier (mehrstimmig verwaberte spacige Vocals) und zieht zumindest in diesem Track immer die 70er-Keyboards bzw. die Hammond Orgel nach sich. Schließlich setzt der fragende Gesang der Indianerin (hymnisch ruhig und keyboard/synthibetont) ein bevor die Flying Colours durch eine exzellente Progrock-Passage abgebildet werden, die jeden Jethro-Tull Fan und Progrocker auf Wolke 7 katapultieren muß. (Amazing flight)

Auch der sich selbst als gebildet und allwissend einschätzende Futureman - normalerweise Unterwasser-, Mond- und Neptunsiedlungen gewohnt - findet sich hilflos in einer Welt zwischen Raum und Zeit wieder. (Ruhiger Progrocksong irgendwo zwischen Parsons, Simon & Garfunkel und Neoprog).

Am Decision tree meldet sich die Stimme (the voice, übrigens gesprochen von Peter Daltrey) wieder: "Nur sieben von Euch können ab hier die Suche fortsetzen ... entscheidet Euch". Es kommt in einem dramatischen Progrock/Progmetal-Brecher zum Gegengesang von Barbar ("I won't be the one to die here - I was born to go down fighting") und Highlander. Im Refrain stellen alle Charaktere ihre Einheit her ("We're alive, we'll survive) - lediglich der Highlander scheint zu resignieren ("I'm nobody's slave").

Vor dem Tunnel of light offenbart der Highlander angesichts des hoffnungsvollen Gesang von Ritter, Römer, Indianerin, Futureman und Ägypterin, daß er Zeit seines Lebens sich immer nur in Dunkelheit und Abgeschiedenheit versteckte und wohlfühlte. Ein Leben in Licht und Hoffnung widerstrebt seinem Leben ... die Seele des Highlanders stirbt. Ein hymnenhafter, von Akustikgitarre bestimmter Track mit einem elegisch hoffnungsvollen Refrain (der vor allem von Anneke's Stimme getragen wird).

Die sieben verbleibenden Charaktere kommen zur aus Tränen gespannten Rainbow Bridge, ... wird sie die Suchenden tragen ? Ritter und Römer wähnen Ihre Träume auf der anderen Seite des Regenbogens und treiben die Anderen zur Überquerung an. Ein straighter Melodic Heavyrock-Song mit Klasse !

Die nächste Hürde: The garden of emotions. Mit wabernder und distanzierter Stimme (und Guitar) stellt der Hippie fest, wie er in seiner "world of fantasy" von den auf ihn einprasselnden emotionalen Eindrücken sicher abgeschirmt ist. Dagegen wirkt der klare, zu ihrem Gott Amon Ra aufschauende Gesang der Ägypterin nahezu elysisch. Die nachdenkliche Sanftmut des Tracks weicht mit einem Mal, als Voices in the Sky die Suchenden bedrohen. Römer und Barbar stellen sich kriegerisch beschützerisch vor die Begleiter und trotzen der Gefahr. Hämmernder Progmetal mit progrockigen Keyboards, vor allem während des wundervollen Refrains der Indianerin ("voices in the sky shall cause the soul to die"). Letztes Drittel des Tracks: Während der Futureman sich im Herzen einer kalten computergesteuerten Maschine wähnt, fühlt der Indian "fury and fear, destiny's near, spirits appear, the legend is here". Progpowermetal der Extraklasse.

Im Tal der Königinnen (Valley of the queens) fühlt die Ägypterin ihren Willen gebrochen, ihre Suche beendet, ihren Namen in den Stein der Tempelmauern der Osiris eingeschlagen. Akustikguitarre, Spinett, Querflöte, Cello und Anneke's traurig-schöner Gesang, wie wir ihn z.B. auf Mandylion zu lieben gelernt haben schildern den resignativen und erfüllten Tod ihrer Seele.

Im Electric Castle angekommen, sehen sich Barbar und Ritter dort den Seelen jener Menschen ausgesetzt, die sie einst niedermetzelten bzw. töteten ("shades of the dead are sliding on the wall, demons dance in the castle hall"). Einer der packendsten und spookigsten Songs des Albums ... umschlingend gespenstisch, grungig hart sowie hymnisch wie eine verproggte Bohemian Rhapsody.

Der Tower of Hope. Auf ihm lassen sich die Stränge der Zukunft überblicken. Herrlich stampfender, elektronisch und proggig verzierter hymnischer Metal beschreibt die Selbsterkenntnis des sich vor der Realität verschließenden Hippie ("I only felt what I wanted to feel") sowie des technikgläbigen Futuremen ("I only saw what I wanted to see"), als die Suchenden die endlos scheinenden Treppen des Tower of Hope erklimmen.
Auf dem Turm angekommen führt der Anblick von in die Sonne driftenden Seelen, Geistern und Sterblichen die Indianierin in Versuchung, die sich sofort zur Sonne hingezogen fühlt ("I'm drawn towards the sun, and then we will be one, my soul will melt into the universe"). Dieser Abschnitt des Songs ist ruhiger Rock, ein wenig an die ruhigen Phasen von Soundgardens "Black Hole Sun" erinnernd. Einzig Futureman und Römer entlarven diesen Anblick als Illusion ("It's all a lie, you will just die, so don't give in, for we can win"), was in unheilsvollem Riffing der E-Guitar deutlich wird. Was sich nun anschließt ist das mit Abstand geilste, was bislang meine Ohren in Richtung Black Metal zu hören bekamen. Robert Westerholt und George Oosthoek (im Wechselgesang) locken im als Tod mit blackmetal-typischen Grunt-Vocals ("I am the breeze, the bringer of rest and ease, I am the storm, I blow the devil's horn, I am your fate, the guardian at the gate") die Indianerin ins erlösende Verderben. Auch wer noch nie etwas mit Black Metal Vocals anfangen konnte, wird sich hier ergriffen verneigen müssen, zumal der lockende Tod im Hintergrund von malerischen Männer- und Frauenchören untermalt wird. Es schließt sich eine melodische Progrock-Instrumental-Passage der Spitzenklasse an (tolle Keyboard und Drum-Einlage), die noch einmal kurz ins chorgestützte Riffing des "Death" übergeht.

Mit dem eigenen Ich konfrontiert sehen sich die übriggebliebenen Fünf im Mirror Maze. Mit Mellotron, Klavier, Flöte und Lennonartigen Melodien erkennt der Hippie in sich einen Menschen, der vor seinem Elternhaus und der Realität die Augen verschließt ("he's aware that no one cares, so he takes a trip into eternity"). Der Futureman erkennt, daß man sich hier längst vergessenen Bedrohungen und Ängsten stellen muß (Akustikgitarre, mehrstimmige und warme Vocals, mellotrongestützt). Nach dreieinhalbminuten legt der Track eine Fuhre zu: Der Römer erkennt in sich einen Mann, der seinen inneren Ängsten nicht standhalten kann und kurz davor ist, sich dem ihm umgebenden Spiegellabyrinth zu ergeben. Einzig der Ritter ("within this armour cold and bright lies a noble heart with the will to fight the pain") erhält sich den Willen, aus dem Labyrinth auszubrechen ("break though the mirror now").

Ein neues Hindernis. Eine Tür ... die "Zukunft". Nur einer der Suchenden hat die Welt der Moderne erlebt: der Futureman. Nur er kann diese Tür aufstossen, jedoch nur dann, wenn er sich der Wahrheit der technisierten modernen Welt stellen kann. Im Track Human devolution, der alles von gothic-angehauchtem Progrock bis Melodic Progpowermetal im Stile von z.B. Athena bietet, erkennt der Futureman die Vergewaltigung der Natur und ihrer Gesetze ("Have we become the victims of our science ? Will we abandon all our earthly treasures ?").

Ein Muß für Deep Purple- und Pink Floyd Fans stellt der Track The two gates dar. Nachdem der Futureman das Tor der Zukunft aufgestoßen hat, stehen die verbliebenen Seelen endlich vor den zwei nuklearen Portalen des Electric Castle. Eines der Tore vollendet die Suche, das andere führt in den Tod. Der Barbar geht voraus und entscheidet sich nicht für das alte und schlichte Portal, sondern für das gülden scheinende Portal, hinter dem er Valhalla erblickt ... und stirbt. Sein mutiger Tod weist den Anderen den Weg zum Ausgangsportal. Dem Gefängnis entronnen, tritt der Ritter mutig nach vorne und fragt die Stimme nach dem Zweck dieses Experiments ("We don't understand ... did we pass or did we fail ?").

"Forever" of the stars: Die Stimme gibt sich als "die Unendlichkeit" zu erkennen und mehr soll an dieser Stelle auch nicht verraten werden.

Während des rockigen Schlußtracks Another time, another space finden sich die verbleibenden (Hippie, Futureman, Römer und Ritter) wieder in Ihrer Zeit wieder und verarbeiten ihre Eindrücke. Das Album endet mit einem gesprochenen "Remember ... forever".

Fazit

Klassiker ! Einfühlsam, anspruchsvoll, ansprechend, packend, hart, melodisch, kompakt, genial ... Lucassen an den Broadway ! Eine Opus, das in keiner anspruchsvollen Rock-/Metalsammlung fehlen darf ! Die Scheibe hat musikalisch zwar zwei oder drei kurzzeitige Längen, jedoch werden diese sofort ausgebügelt, wenn man den Text dieses Prog-Musicals vor sich hat. Das Mitlesen der Texte ist ein Muß, denn nur so kann Euch dieses Album umgeben wie das beste Buch, daß ihr jemals gelesen habt.

Die Energie eines solchen Meisterwerks soll sich am Himmel zu einem Strahl bündeln und all jene erleuchten, die - von den Jugenverstümmelern VIVA und MTV vollends entmündigt - den ganzen propagierten seelenlosen Hitparaden-Müll kaufen.
Wertung:******(6)

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